Entenkadaver
Kühles Wasser um mich und die Welt ist wieder schön. Hier wird gekrault, da wird geplanscht und am Ufer werden Cellulite und Bierbäuche frisch gecremt in die Sonne gehalten. Ich bahne mir meinen Weg durchs Wasser und ein paar Algen, die mir ständig an den Hals gehen, lasse sie aber vollkommen unbeeindruckt zurück, auf meiner Tour durch den ganzen See.
Ich durchschwimme kältere und wärmere Stellen mit starken Temperaturunterschieden in der Mitte. Dafür gibt es dort weniger schwimmendes Gestrüb. Von hier aus sieht man die holden Damen gar nicht mehr, die ich, oder die mich hier her begleitet haben. Ins Wasser zu gehen sei ganz toll, hieß es, aber richtig zu schwimmen… ach nö. Kein Problem, denke ich, wollte mich ja auch nicht großartig über nervende Verwandte unterhalten, sondern schwimmen.
In der Mitte verlangsame ich meine Geschwindigkeit, schwimme fast auf der Stelle inmitten einer Kaltzone und bemerke ein gelbes Boot. 3 Jungs in dem Gummimonster vertreiben sich die Zeit, sich ich gegenseitig ins Wasser zu schmeißen. Der Vierte fühlt sich nicht so recht und sieht aus als ob er gleich heule. „Komm“, sagt einer, „ich mach auch diesmal nichts“. Der ängstliche Junge starrt aufs Wasser und schüttelt seinen Kopf.
Durch die aufgerissene Wolkendecke über mir schummeln sich ein paar Sonnenstrahlen. Die Abkühlung auf die versprochenen 29 Grad hat es nicht gegeben. Ich scher mich nicht drum und schwimme weiter. Vor mir liegt die zweite Hälfte des Sees und ich erkenne ein paar Enten in der Nähe des anderen Ufers. Hübsche Viecher sind das. Plötzlich höre ich einfach auf zu Schwimmen, ich habe keine Lust mehr. Demzufolge gehe ich unter wie ein Stein und die Luftblasen steigen mir aus dem Mund als wären sie mein letzter Gruß.
Das Wasser ist offensichtlich gestapelt. Kalte schichten liegen auf warmen, darunter wieder eine kalte, dann wieder eine etwas wärmere. Doch insgesamt kühlt es ab. Genau wie ich. Was gibt es schon auf dem Grund eine Sees zusehen. Ein paar Algen vielleicht. Alte Schuhe, geplatzte Bikinis, ein altes Ruderboot, ein Fahrrad. Fische gibt es hier jedenfalls keine. Ich vermisse es gar nicht zu atmen und hier unten ist das Wasser erstaunlich klar. So klar dass ich ein Stückchen vor mir eine tote Ente erkennen kann. Sie liegt auf einem kleinen Felsen, an dem ich mich vorbeifallen lasse. Ihre Flügel liegen am Körper und er Kopf ist gesenkt. Die Entenfüße sind unter dem kleinen, zerfallenden Korpus begraben.
Über mir sehe ich dieses Gummiboot, farblos, und daneben farblose wild strampelnde Beine, die Blitzartig wieder aus dem Wasser verschwinden. Diese Stelle des Sees ist unglaublich tief, ich falle ja immer noch. Die Angst des Jungen ist vielleicht völlig berechtigt. Plötzlich knallt sein Körper in das Wasser und er taucht, während das Boot sich entfernt. Er zappelt und zittert mit jeder Faser seines Körpers, doch schafft es weder das Boot zu erreichen, geschweige denn überhaupt an der Oberfläche zu bleiben. So sackt er, genau wie ich, langsam in die Tiefe, direkt über mir. Je stärker er sich wehrt, desto schneller fällt er auf mich herab. Kinskopf. Er verschluckt Wasser, panische Luftblasen sprudeln aus seinem Mund und er bewegt seine Gliedmaßen, als wolle er einen Berg erklimmen.
Stopp, macht es unter mir und ich stehe auf Sand. Keine Algen hier unten, kein Müll, kein Boot, nur ein wenig Sand und ein paar größere Steine. Der aufgewirbelte Sand schlängelt sich ein wenig um meine Beine und gräbt meine Füße ein. Hier ist es nicht spannend. Hier ist gar nichts. Ich laufe ein Stück und komme nur mühsam voran. Da vorn liegt wieder ein Entenkadaver, diesmal etwas älter und löchriger als der erste auf dem kleinen Felsen. Ich gehe noch ein Stück und setze mich dann auf einen Stein der wie ein Hocker geformt ist, um den Jungen weiter zu beobachten. Mittlerweile bewegt er seine Arme und Beine fast gar nicht mehr und lässt sich, genau wie ich, einfach fallen. Tote Menschen werden warscheinlich geborgen, denke ich mir, denn ich sehe hier keine menschlichen Skelette. Über uns schwimmt eine weiteres Boot vorbei, angeschoben von zwei Fremden, die sich wie Frösche im Wasser bewegen. Es verstreicht noch ein wenig Zeit, die ich nutze mir meine verschrumpelte Haut etwas genauer anzusehen. Bald wird sie ganz weiß sein, aufgequollen und mit nichts mehr zu vergleichen. Die schöne Sonnenbräune, würde eine der holden Damen beklagen, die da oben so schön auf meine Sachen aufpassen. Unterwasser besteht keine Notwendigkeit mit einem sonnengebräunten Körper herumzulaufen. Der Junge ist da.
Er grinst! Was grinst er da? Oh, es ist kein grinsen. Ein erschrecktes Gesicht, würde ich sagen. Das Boot ist einfach weitergeschippert und hat ihn hier zurückgelassen. Ich schätze ihn auf 14 Jahre. Warum hat ihm niemand richtig das Schwimmen beigebracht? Jetzt liegt er da, zu meinen Füssen und hat seine jüngsten Jahre gesehen. Ein hübsches Grab ist das. Sauber, aufgeräumt und überraschend klar. Ich schaue noch einmal kurz nach oben, es ist niemand da. So stoße ich mich wieder ab und bewege mich durch die unterschiedlich temperierten Wasserschichten. Nichts aufregendes mehr, hier unten. Und der Weg nach oben geht irgendwie schneller. Ich habe einen leichten linksdrall und lande direkt unter den paddelnden Füßen eines Entenschwarms, in dessen Mitte ich zwischen den kaum irritierten Tierchen auftauche. Ganz weit hinten sehe ich das gelbe Boot. Es ist leer und wackelt gemächlich in der Sonne. An mir und den Enten schießen einige schöne Libellen vorbei. Vor Schreck drücke ich meinen Hintermann aus versehen unter Wasser, was einen größeren Protest der anderen auslöst. Man verscheucht mich mit schmerzhaften Schnabelschlägen gegen meine Schläfe. Ich schiebe die verrückten Viecher zur Seite und Schwimme was das Zeug hält. Durch die kühlen Stellen in der Mitte des Sees, an dem Gestrüb vorbei und an den Spielenden Kindern, wo man im Wasser schon stehen kann, schleppe ich mich zu den Damen die mich nett anlächeln. War´s schön?
Ja, sage ich. Biste ganz durchgeschwommen?
Ja, lüge ich.
Nachtrag: Dieser Text wurde von mir noch einmal auf Hoffa´s Worte veröffentlicht
Ich durchschwimme kältere und wärmere Stellen mit starken Temperaturunterschieden in der Mitte. Dafür gibt es dort weniger schwimmendes Gestrüb. Von hier aus sieht man die holden Damen gar nicht mehr, die ich, oder die mich hier her begleitet haben. Ins Wasser zu gehen sei ganz toll, hieß es, aber richtig zu schwimmen… ach nö. Kein Problem, denke ich, wollte mich ja auch nicht großartig über nervende Verwandte unterhalten, sondern schwimmen.
In der Mitte verlangsame ich meine Geschwindigkeit, schwimme fast auf der Stelle inmitten einer Kaltzone und bemerke ein gelbes Boot. 3 Jungs in dem Gummimonster vertreiben sich die Zeit, sich ich gegenseitig ins Wasser zu schmeißen. Der Vierte fühlt sich nicht so recht und sieht aus als ob er gleich heule. „Komm“, sagt einer, „ich mach auch diesmal nichts“. Der ängstliche Junge starrt aufs Wasser und schüttelt seinen Kopf.
Durch die aufgerissene Wolkendecke über mir schummeln sich ein paar Sonnenstrahlen. Die Abkühlung auf die versprochenen 29 Grad hat es nicht gegeben. Ich scher mich nicht drum und schwimme weiter. Vor mir liegt die zweite Hälfte des Sees und ich erkenne ein paar Enten in der Nähe des anderen Ufers. Hübsche Viecher sind das. Plötzlich höre ich einfach auf zu Schwimmen, ich habe keine Lust mehr. Demzufolge gehe ich unter wie ein Stein und die Luftblasen steigen mir aus dem Mund als wären sie mein letzter Gruß.
Das Wasser ist offensichtlich gestapelt. Kalte schichten liegen auf warmen, darunter wieder eine kalte, dann wieder eine etwas wärmere. Doch insgesamt kühlt es ab. Genau wie ich. Was gibt es schon auf dem Grund eine Sees zusehen. Ein paar Algen vielleicht. Alte Schuhe, geplatzte Bikinis, ein altes Ruderboot, ein Fahrrad. Fische gibt es hier jedenfalls keine. Ich vermisse es gar nicht zu atmen und hier unten ist das Wasser erstaunlich klar. So klar dass ich ein Stückchen vor mir eine tote Ente erkennen kann. Sie liegt auf einem kleinen Felsen, an dem ich mich vorbeifallen lasse. Ihre Flügel liegen am Körper und er Kopf ist gesenkt. Die Entenfüße sind unter dem kleinen, zerfallenden Korpus begraben.
Über mir sehe ich dieses Gummiboot, farblos, und daneben farblose wild strampelnde Beine, die Blitzartig wieder aus dem Wasser verschwinden. Diese Stelle des Sees ist unglaublich tief, ich falle ja immer noch. Die Angst des Jungen ist vielleicht völlig berechtigt. Plötzlich knallt sein Körper in das Wasser und er taucht, während das Boot sich entfernt. Er zappelt und zittert mit jeder Faser seines Körpers, doch schafft es weder das Boot zu erreichen, geschweige denn überhaupt an der Oberfläche zu bleiben. So sackt er, genau wie ich, langsam in die Tiefe, direkt über mir. Je stärker er sich wehrt, desto schneller fällt er auf mich herab. Kinskopf. Er verschluckt Wasser, panische Luftblasen sprudeln aus seinem Mund und er bewegt seine Gliedmaßen, als wolle er einen Berg erklimmen.
Stopp, macht es unter mir und ich stehe auf Sand. Keine Algen hier unten, kein Müll, kein Boot, nur ein wenig Sand und ein paar größere Steine. Der aufgewirbelte Sand schlängelt sich ein wenig um meine Beine und gräbt meine Füße ein. Hier ist es nicht spannend. Hier ist gar nichts. Ich laufe ein Stück und komme nur mühsam voran. Da vorn liegt wieder ein Entenkadaver, diesmal etwas älter und löchriger als der erste auf dem kleinen Felsen. Ich gehe noch ein Stück und setze mich dann auf einen Stein der wie ein Hocker geformt ist, um den Jungen weiter zu beobachten. Mittlerweile bewegt er seine Arme und Beine fast gar nicht mehr und lässt sich, genau wie ich, einfach fallen. Tote Menschen werden warscheinlich geborgen, denke ich mir, denn ich sehe hier keine menschlichen Skelette. Über uns schwimmt eine weiteres Boot vorbei, angeschoben von zwei Fremden, die sich wie Frösche im Wasser bewegen. Es verstreicht noch ein wenig Zeit, die ich nutze mir meine verschrumpelte Haut etwas genauer anzusehen. Bald wird sie ganz weiß sein, aufgequollen und mit nichts mehr zu vergleichen. Die schöne Sonnenbräune, würde eine der holden Damen beklagen, die da oben so schön auf meine Sachen aufpassen. Unterwasser besteht keine Notwendigkeit mit einem sonnengebräunten Körper herumzulaufen. Der Junge ist da.
Er grinst! Was grinst er da? Oh, es ist kein grinsen. Ein erschrecktes Gesicht, würde ich sagen. Das Boot ist einfach weitergeschippert und hat ihn hier zurückgelassen. Ich schätze ihn auf 14 Jahre. Warum hat ihm niemand richtig das Schwimmen beigebracht? Jetzt liegt er da, zu meinen Füssen und hat seine jüngsten Jahre gesehen. Ein hübsches Grab ist das. Sauber, aufgeräumt und überraschend klar. Ich schaue noch einmal kurz nach oben, es ist niemand da. So stoße ich mich wieder ab und bewege mich durch die unterschiedlich temperierten Wasserschichten. Nichts aufregendes mehr, hier unten. Und der Weg nach oben geht irgendwie schneller. Ich habe einen leichten linksdrall und lande direkt unter den paddelnden Füßen eines Entenschwarms, in dessen Mitte ich zwischen den kaum irritierten Tierchen auftauche. Ganz weit hinten sehe ich das gelbe Boot. Es ist leer und wackelt gemächlich in der Sonne. An mir und den Enten schießen einige schöne Libellen vorbei. Vor Schreck drücke ich meinen Hintermann aus versehen unter Wasser, was einen größeren Protest der anderen auslöst. Man verscheucht mich mit schmerzhaften Schnabelschlägen gegen meine Schläfe. Ich schiebe die verrückten Viecher zur Seite und Schwimme was das Zeug hält. Durch die kühlen Stellen in der Mitte des Sees, an dem Gestrüb vorbei und an den Spielenden Kindern, wo man im Wasser schon stehen kann, schleppe ich mich zu den Damen die mich nett anlächeln. War´s schön?
Ja, sage ich. Biste ganz durchgeschwommen?
Ja, lüge ich.
Nachtrag: Dieser Text wurde von mir noch einmal auf Hoffa´s Worte veröffentlicht
Josh Benjamin - 22:20
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